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Das Verhältnis von Körper und Kleidung begleitet mich seit jeher.

Es ist allgegenwärtig, selbstverständlich und hat dennoch sehr viele Facetten. Die vestimentäre Sprache mit der unsere Bekleidung kommuniziert, kennen wir alle, manchmal wird sie intuitiv, manchmal aber auch ganz bewusst und gezielt eingesetzt. Meist ist sie in ihren Regeln nicht schriftlich vorgegeben.

Der Vorgang, sich durch Kleidung dem Bild das wir von uns haben anzunähern und dadurch Einfluss auf unser Selbst zu nehmen oder auch einem von außen kommenden Anspruch durch Kleidung zu entsprechen, hat mich fasziniert. Besonders hat mich dabei die körperlichen Formung und der Haltungsveränderung durch Kleidung und Mode interessiert.

Noch im Kunststudium entwickelte ich eine erste Rauminstallationen mit Bezügen zu Fashion und der ihr innewohnenden Idealbildern. Skulpturen aus handbedruckten Stoffen, Objekte und Portraits einer Schaufensterpuppe ergänzte ich mit Siebdrucken direkt auf die Wand. Ich entwickelte weibliche Uniformen, die angezogen einen performativen Charakter hatten und ergänze sie mit großformatigen Wandmalereien.

In meiner Abschlussarbeit mehr-wert entstand ein begehbarer Kosmos, der die Betrachter*innen einlud sich in diesen zu begeben, auf der Skulptur Platz zu nehmen und Teil der Performance zu werden.

In London wohnend nahm ich den Uniform-Faden wieder auf. Mit fielen Schulkinder im Straßenbild auf: sie trugen ihre spezielle Uniform, bildenden sofort visuelle Gruppen, die sich von anderen Schulgruppen unterschieden. Für mich ein ungewohntes Bild, dem ich nachging.

In Langzeitinterviews mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, die zu der Zeit in London wohnten, erfuhr ich, dass es sehr üblich war in ihrer Kindheit Schuluniformen zu tragen.

Ich, in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg aufgewachsen, war die Ausnahme.

Damals begann ich die Interviews und führte sie über mehrere Jahre hinweg weiter. Aus den Erinnerungen meiner erwachsenen Interviewpartner*innen an ihre spezielle Schulkleidung, nähte ich diese nach und entwickelte mehrere großformatige Installationen bezogen auf das Spannungsverhältnis von Individuum und vorgegebener Norm. Sie wurden immer mit Auszügen der entsprechenden Interviews präsentiert. Es entstand der Katalog …sedvitae discimus.

Zeitgleich entwickelte ich stoffliche Objekte und Skulpturen, die sich an der saisonalen Mode orientierten und diese formal ad absurdum führten. Über Dekonstruktion vorhandener Kleidungstücke oder / und Vervielfältigung der gefundenen Schnittkonstruktionen entwickelte ich Hohlkörper, die einem verformten Wesen passen könnten. Anteilig sind diese Serien, wie modemorphosen in meinem Katalog Kathrin Rabenort zu finden.

Für die Serie selfmotoric entstanden Objekte, Wandbilder und Collagen im Sportkontext. So habe ich einen beim Boxkampf gegen den Deutschen Box-Nationalmeister getragenen Mantel dekonstruiert und aus ihm ein hängendes Objekt zwischen Boxsack und Boxmantel entwickelt, das Fragen nach Selbstoptimierung und inneren Kampf stellt.

Seit 2015 ist der Aspekt der militärischen Uniform dazugekommen, der sich stark in meiner andauernden Serie zur Marine widerspiegelt. Mit stofflichen Objekten und Skulpturen, Wandinstallationen und Fotografien stelle ich Fragen zu Schiffsmannschaften, Gruppenstruktur und Hierarchien, teilweise auch konkret an Soldat*innen auf Kampfschiffen. Hier ist die Kleidung streng vorgegeben, festgeschrieben und erfordert eine äußere und innere Haltung, die mir fremd war. Einen ersten Zwischenstand dieser Arbeiten zeigt mein Katalog Marine Stories.

Während zwei längeren Aufenthalten in China irritierte mich die allgegenwärtige Präsenz von Securityuniformen und die damit einhergehende alltägliche Kontrolle. Ich beobachtete große Menschenmengen, die durch physische militärische Präsenz gelenkt und strukturiert wurden. Beeindruckend und einschüchternd, doch die meisten der kontrollierenden Strukturen in China sind allgegenwärtig doch unsichtbar. Es entstanden Installationen, Fotografien und Wandbilder: Speaking Chinese

Militärische Uniformen werden oft aus Camouflagestoffen gefertigt. Dieser Tarnstoff mit seinen unterschiedlichen Mustern begleitet mich ebenfalls seit einigen Jahren. Aus dem militärischen Stoff entwickle ich ortsspezifische Installationen oder nähe Wandbehänge, die mit Farbe behandelt oder mit Siebdruck bearbeitet sind.

Dabei interessiert mich natürlich der Aspekt der Uniform und die Funktion die der militärischen Kleidung innewohnt, als auch was passiert, wenn Soldaten die Kleidung tragen. Das Wort Camouflage bedeutet ”Verschleierung“. Im ersten Weltkrieg wurde diese Musterung von einer Gruppe Kubisten und Surrealisten, den “Camoufleurs”, für die französische Armee entwickelt.

Für besondere Orts und Ausstellungsprojekte entwickle ich sitespezifische Arbeiten, die diesen Ort brauchen um bestehen zu können, wie die Serie Epiphyten und Phytohominiden für einen Park, Blaze für einen Hochsitz, Abschied vom Augenblick für den fließenden Rhein, die den ganzen Lutherkirchturm bespielende Turminstallation.

Parallel zu meinen großformatigen, raumfüllenden, drei-dimensionalen Arbeiten und Serien entstehen Nähmaschinen-zeichnungen, die sich mit dem Spannungverhältniss von Ordnungssystemen und zufälliger Zeichnung und Formung auseinandersetzten. Die Zeichnungen entstehen durch maschinelles Nähen in das Papier: Millimeterpapier, chinesisches Schreiblernpapier oder Bamboo- und Aquarellpapier, das ich vorab mit Handsiebdruck bearbeitet habe. In dem Spannungsverhältnis von kontrollierter und zufälliger Formung der Nähmaschinenzeichnungen sehe ich Parallelen zu der normierenden und strukturierenden Uniform.

Kathrin Rabenort, Februar 2025

English

The relationship between body and clothing has always been with me.
It is omnipresent, self-evident and yet has many facets. We are all familiar with the vestimentary language our clothing, sometimes it is used intuitively, sometimes consciously and purposefully. In most cases, its rules are not writen down, but still known.
I was fascinated by the process of using clothes to approximate the image we have of ourselves and thereby influence ourselves or to fulfil an external requirement through clothing. I was particularly interested in physical forming and changing posture through clothing and fashion.

Whilst still studying art, I developed my first spatial installations with references to fashion and its inherent ideals. I added sculptures made of hand-printed fabrics, objects and portraits of a mannequin with screen prints directly onto the wall. I developed female uniforms that had a performative character when dressed and supplemented them with large-format murals. In my examination exhibition mehr-wert, I created a walk-in cosmos that invited viewers to enter, take a seat on the sculpture and become part of the performance.

Living in London, I picked up the uniform thread again. I noticed schoolchildren in the street scene: they wore their special uniform and immediately build up visual groups that were different from other school groups. It was an unusual image for me, which I pursued with long-term interviews.

I interviewed people from different backgrounds who were living in London at this time and I learnt that it was very common to wear school uniforms in their childhood.
So I, who grew up in Germany after the Second World War, was the exception. From my adult interviewees‘ memories of their special school uniforms, I recreated the clothes and developed several large-scale installations relating to the tense relationship between the individual and the given norm. They were always presented with excerpts from the corresponding interviews. My series was accompanied by the catalogue …sedvitae discimus.

At the same time, I developed textile objects and sculptures that were orientated towards seasonal fashion and took them formally ad absurdum. By deconstructing existing items of clothing and/or reproducing the found cut constructions, I developed hollow bodies that could fit a deformed being. Some of these series, like modemorphosen, can be found in my catalogue Kathrin Rabenort.

For the selfmotoric series, I created objects, murals and collages in a sportiv context. For example, I deconstructed a coat worn during a boxing match against the German national boxing champion and turned it into a hanging object between a punching bag and a boxing coat that poses questions about self-optimisation and inner struggle.

Since 2015, the aspect of the military uniform has been added, which is strongly reflected in my ongoing series on the navy. With material objects and sculptures, wall installations and photographs, I pose questions about ship crews, group structure and hierarchies, sometimes specifically to soldiers on combat ships. Here, the clothing is strictly prescribed, fixed and requires an outer and inner attitude that was alienating to me. The catalogue Marine Stories shows an initial interim status of these works.

During two longer stays in China, I was irritated by the omnipresent presence of security uniforms and the everyday control that goes with them. I observed large crowds of people being directed and structured by a physical military presence. Impressive and intimidating, but most of the ubiquitous controlling structures in China are invisible.

Military uniforms are often made from camouflage fabrics and camouflage with its different patterns I use as artistic material for several years to develop site-specific installations or sew wall hangings that are treated with colour or screen-printed.

I am interested in the aspect of the function inherent in military clothing, as well as what happens when soldiers wear the clothing. The word camouflage means ‘concealment’. During the First World War, this pattern was developed by a group of cubists and surrealists, the ‘camoufleurs’, for the French army.


For special locations and exhibition projects, I develop site-specific works that need this location to exist, such as the series Epiphytes and Phytohominids for a park, Blaze for a raised hide, Farewell to the Moment for the flowing Rhine, the tower installation that covers the entire Luther Church tower.
Parallel to my large-format, space-filling, three-dimensional works and series, I create sewing machine drawings that deal with the tension between systems of order and random drawing and shaping.
The drawings are created by machine sewing into the paper: graph paper, Chinese writing paper or bamboo and watercolour paper, which I have processed in advance with hand screen printing.

I see parallels to the standardising and structuring uniform in the tension between the controlled and random shaping of the sewing machine drawings.

Kathrin Rabenort, Februar 2025